Systematische Plünderung, zögernde Restitution, aber wohin mit der konservierten Kolonialbeute?
Systematische Plünderung, zögernde Restitution, aber wohin mit der konservierten Kolonialbeute?
Prinz Kum’a Ndumbe III.
Emeritierter Universitätsprofessor Dr. Dr. (Université de Lyon II, Université de Yaoundé I, Freie Universität Berlin)
22 Februar 2024, 18 -20 Uhr
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Robert-Havemann-Saal
Greifswalderstr. 4,
10405 Berlin
Auseinandersetzung mit Kolonialismus ist in der Bundesrepublik Deutschland zum Thema in Regierungsprogrammen geworden. Seit 2018. Lobenswert. Es war ein langer Kampf so vieler Organisationen im In- und Ausland, bis entscheidende politische Parteien den Ernst der Lage einschätzten und diese Forderung als Regierungsprogramm aufnahmen.
Brutale Kämpfe und Hinrichtungen, Strafexpeditionen gegen die einheimische Bevölkerung, sogar Völkermord wie in Südwestafrika, heutiges Namibia, um die Hoheit des Deutschen Kaiserreiches auf diesen Gebieten in Afrika zu sichern. Das war der Preis. Und bei diesen mörderischen Expeditionen eine systematische und gründliche Plünderung der Macht-, Kult- und Kulturinsignien der einzelnen Völker, dann der Abtransport nach Berlin, München, Stuttgart, Leipzig, Hamburg, München, Köln, Wittenberg, Basel, usw. Und über ein ganzes Jahrhundert darüber schweigen, die Untaten bagatellisieren, oder als wohlwollende Einführung primitiver Völker in die Moderne verherrlichen.
Und jetzt holt uns alle das Rad der Geschichte ein: Restitution, heißt es von allen Seiten, macht diese blutigen Schatzkammern auf und gebt die geraubten Kulturgüter afrikanischer Völker zurück! Die Afrikaner sollen aber bitte gefälligst neue Gefängnisse für die zurückzugebenden Gegenstände erst mal bauen, dann geben wir zurück. Wir werden aber doch unsere Museen nicht leeren, das auf keinen Fall.
Nun, nach über hundert Jahren, an wen zurückgeben? Wer ist überhaupt noch als Erbe legitimiert zu empfangen? Die sollen mal ihre Legitimationsurkunden vorzeigen, dann wird der Fall überprüft. Ach ja, aus primitiven Dörfern sind unterentwickelte neue Staaten mit ausgelöschtem Gedächtnis entstanden. Unsere Partner. Verhandeln wir also. Bis klar ist, wer sich als der legitimierte Empfänger ausweisen kann. In der Zwischenzeit bleiben unsere Museen voll. Und da unten schlagen sie sich die Köpfe ein. Die Sache wird schmackhaft, und jeder will empfangen. Bitten wir doch Konfliktmanagement an. Tolle Idee.
Damit sind kurz und bündig die 140 Jahre unserer Beziehungen Afrika-Europa, oder Afrika-Welt seit 1884 in Kolonialisierung, Raub, Plünderung und Bekundung zur Restitution zusammengefasst[1]. Wie ernst ist das überhaupt gemeint?
- Systematische Plünderung
Deportation in die Sklaverei dauerte vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Afrika wurde entvölkert, und im Jahr 1900 zählte man kaum 100 Millionen Menschen auf einem Kontinent, der von der Fläche her beinhalten kann: West- und Osteuropa mit England zusammen, dann noch Nordamerika mit Alaska und Hawaii, Indien, China, Japan. Und Platz bliebe immer noch übrig. Ja, nur 100 Millionen Menschen überlebten. Dann kam die konzertierte Aggression: Europa bemächtigte sich direkt dieses gesamten afrikanischen Kontinents formell von 1884 bis etwa 1960/1975, fast hundert Jahre für manche, dann behauptete es seine Macht durch den Neokolonialismus, in vielen Ländern noch heute, im Jahr 2024. Nur leben in diesem Jahr nicht mehr 100 Millionen, sondern 1,5 Milliarden Menschen, und im Jahr 2065 rechnet man mit 3 Milliarden Afrikanern, mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren für eine Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen. Nicht mehr Europäer, Amerikaner, Chinesen oder andere werden über Afrika denken, die Afrikaner selbst werden über Afrika denken, entscheiden und handeln, mit hochentwickelter und innovativer Intelligenz.
The True Size of Africa: http://kai.sub.blue/images/True-Size-of-Africa-kk-v3.pdf
Und die Ressourcen des Kontinents stehen immer noch zur Verfügung:
„Rund 30 Prozent der globalen Mineralreserven befinden sich in Afrika. Von der Elektronikindustrie bis zur Batterieproduktion, modernste Technik verlangt nach afrikanischen Rohmaterialien. Und die Möglichkeiten der Verwendung der Bodenschätze sind längst nicht erschöpft ... Der Kontinent birgt die größten Reserven an Kobalt, Diamanten, Platin und Uran der Welt. Afrika verfügt über 40 Prozent des weltweiten Goldes und bis zu 90 Prozent der Bestände von Chrom und Platin. 12 Prozent der globalen Ölvorräte liegen dort, sowie 7 Prozent des Erdgases … Südafrika allein ist der weltweit führende Hersteller von Chromit und Ferrochrom, Gold, Palladium und Platin, sowie der zweitgrößte Produzent der Welt von Mangan, Rutil und Zirkon.“[2] Es ist nicht mehr das Südafrika der Apartheid, wo die Schwarzen, obwohl sie die Mehrheit bildeten, durch Rassismus ausgegrenzt wurden und nichts zu entscheiden hatten.
Die Zeiten haben sich also geändert, und dem muss man Rechnung tragen. Aber was hat das mit Restitution zu tun?
Es gibt keine Dekolonisierung ohne Restitution.
Hören wir mal, wie der von Bismarck nach Kamerun entsandte Schweizer Missionar Keller zur Zeit des deutschen Kulturkampfes vorging:
„Wie eine Kavallerieabteilung im Sturm über den Feind herfällt, so sind wir trotz eines Gewitterregens über die Götzen Susas hergefallen und haben sie zu Gefangenen gemacht“ (Keller 1898: 6). Allein aus dem Ort Susa – nicht weit von der heutigen Douala-Stadt – zählte Keller „24 menschenähnliche Götzen, drei Büffelmasken, eine Elefantenmaske, eine Leopardenmaske, zwei Ekongolo-Bastanzüge, einen Tambimbe-Anzug, mehrere Trommeln, Stöcke“ (ebd.).
Es war also Krieg, nicht nur um die Einnahme von Territorien, sondern vor allem auch um die völlige Glaubensvernichtung der einheimischen Spiritualität ging es, um die gewalttätige Entwurzelung und nachhaltige Gedächtnislöschung der einheimischen Bevölkerung. Keller spricht von „Gefangenen“, er, als christlicher Missionar, und meinte:
„Die zusammengetragenen Objekte wurden in die Kapelle der größeren Missionsstation Bonaku transportiert, wo all das bisher Gefürchtete zur Schau und Schande ausgestellt
und später nach Basel geschickt wurde“ (Keller 1898: 7).
Zu dieser Zeit des Kulturkampfes wurden die geraubten heiligen „Objekte“ noch nicht nach Deutschland, sondern erst in die Schweiz gebracht, denn die Bismarck-Missionare kamen zuerst aus dem deutschsprachigen Basel. Der Missionar bildete auch eine Kavallerieabteilung gegen die einheimische Spiritualität, und die „Gefangenen“ sind in deutsche und europäische Gefangenenlager, genannt „Museen“, immer noch eingesperrt. Nur 10 % können im Jahr 2024 zur Schau gestellt werden, der Rest bleibt in Lagern und Koffern versiegelt.
Der Missionar Keller fühlt sich und handelt wie ein Oberstleutnant, denn er weiß, dass die deutsche Kolonialarmee hinter ihm steht:
„Gut, ich bin ein großer Mann und habe solche Macht; somit erkläre ich alle Losango
für abgeschafft“ (Keller 1898: 3).
„Nun ging ein Rennen und Laufen an. Meine Leute sagten: Wir müssen eilen, damit sie nicht ihre Masken u. dgl. verstecken können… Wir drückten da und dort eine Hüttentür und brachten heraus: Mützen von Federn, Anzüge von Bastgewebe, menschenähnliche abscheuliche Götzen, Trommeln, Büffel-, Elefanten- und Leopardenmasken nebst anderem abscheulichem Kram“ (Wurm 1904:29).
Sie können diese „Gefangenen“ in dafür im 19. Jahrhundert gebauten ethnologischen Lagern beschauen, heute umbenannt in „Weltmuseen“, „Museum Fünf Kontinente“, „Humboldt Forum“, usw.
Diese Macht-, Kult- und Kunstobjekte wurden zu 90% aus dem afrikanischen Kontinent mit Kolonial-Gewalt weggeschleppt, seit über 100 Jahren wurden sie nicht mehr von der einheimischen Bevölkerung erblickt, sie existieren für sie nicht mehr, das kollektive Gedächtnis des afrikanischen Volkes konnte so nachhaltig gelöscht und die Menschen dauerhaft zum Christentum bekehrt werden. Die Studie von Benédicte Savoy und Albert Gouaffo „Atlas der Abwesenheit“ spricht von 40.000 solcher „Objekte“ in deutschen öffentlichen Museen[3]. Dazu sollte man die Museen der einzelnen unterschiedlichen christlichen Missionsgesellschaften zählen, sowie die Privat-sammler.
Man vergisst aber zu oft, dass geköpfte Schädel von afrikanischen Widerstandskämpfern und abtransportierte Gebeine nach Deutschland gelangten und immer noch auf eine Ruhestätte in der afrikanischen Heimat warten.
- Hat denn Deutschland jemals dekolonisiert? – Und der Diskurs über zögernde Restitution
Wir wissen, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hat und die bei der Berliner Konferenz von 1884 erteilten Kolonialgebiete im Versailler Vertrag von 1919 an andere europäische Mächte abtreten musste. Es wird aber oft vergessen, dass in den 32 bis 34 Jahren Kolonialzeit Deutschlands die afrikanischen Grundstrukturen in Verwaltung, Sicherheitssystem, Rechtswesen, Wirtschaft, Finanzen, Schule, Religion, Medien fundamental und nachhaltig deutsch, europäisch, geändert wurden. Das große Dilemma in einem Land wie Kamerun ist, dass weder Historiker, Juristen, Ökonomen, Sicherheitsbeauftragte, Pastoren, Priester, Lehrer oder Journalisten die deutsche Sprache beherrschen, die Grundsatzdokumente, durch welche ihr Land dauerhaft umstrukturiert wurde, entziffern und Konsequenzen für einen neuen Aufbruch ziehen können. Sie greifen zumeist nur auf die französische oder englische Zeit zurück, obwohl diese eher eine europäische Kontinuität festnagelten. Die Debatte über die Dekolonisierung der deutschen Kolonial-Umstrukturierung afrikanischer Länder hat eben noch nicht begonnen, denn der Dekolonisierungsprozess hat für Deutschland nie stattgefunden. Da nun das Thema Kolonialismus zum Regierungsprogramm geworden ist, kann man erhoffen, dass in Forschung und Lehre auch in den ehemaligen deutschen Kolonien deutsche Dekolonisierung zum geförderten Bereich gehören wird.
Heute konzentriert man sich hierzulande eher auf Bewusstseinsbildung und eventuelle Restitutionsmöglichkeiten.
Was Kamerun betrifft, stellt man fest, dass in nur 32 Jahren Kolonialzeit die Deutschen 90% aller ins Ausland verschleppten Macht-Kult-und Kunstgegenstände an sich gerissen haben. Und jetzt, 2024, 140 Jahre nach der kolonialen Machtergreifung in Kamerun, wird erst eine mögliche Restitution erwogen. Der Ruf nach Restitution wird als dringende Notwendigkeit der Dekolonisierung weltweit hörbar. Die deutschen Politiker und Behörden bleiben nicht taub. Die nicht zugänglichen Grabstätten afrikanischer Macht-, Kult- und Kunstobjekte werden für Provenienz-Forscher behutsam geöffnet, eine ungeahnte Menge wird sichtbar. Nicht einmal die Bürger dieser Städte konnten die riesige Zahl der geraubten „Gegenstände“ erahnen.
Wie ernst ist denn Restitution von Europäern gemeint?
Namibia bekam die Bibel und die Rinderpeitsche des Widerstandskämpfers Hendrick Witbooi am 28. Februar 2019, den Cape Cross am 17. Mai 2019, 23 „Objekte“ als Leihgaben im Mai 2022, und im August 2018 schon 15 Menschenschädel, Knochenteile und ein Skalp zurück. 12.000 „Objekte“ aus Namibia schlummern noch in den Museumskisten Europas. Die Republik Benin bekam von Frankreich 26 „Objekte“ im November 2021 zurück. Nigeria bekam 20 Beninbronzen von der Bundesrepublik Deutschland am 20. Dezember 2022 übergeben und 34 „Objekte“ als Leihgaben vom British Museum. Kamerun soll in den nächsten Monaten von Deutschland 10 oder 20 der 40.000 „Objekte“ in öffentlichen Museen feierlich zurückbekommen. Wir zuhause warten immer noch auf den vom deutschen Konsul Max Buchner 1884 geraubten Tangué meines Großvaters Kum’a Mbape Bell/Lock Priso.
Ach ja, Leihgaben, weil die Gesetzte europäischer Besitztümer Restitution nicht erlauben. Man kann den Afrikanern ein paar geraubte Objekte ausleihen. In Vergessenheit ist aber geraten, dass auch im 19. Jahrhundert per Gesetz Hehlerei in Europa verboten war. Für Deutschland galt das Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 [4].
:„§§ 259 Hehlerei: (1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft….Beispiele für gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Taten sind: Raub, Erpressung, Betrug, Untreue, Unterschlagung, Ausspähen von Daten, Abfangen von Daten…“
Wie konnten dann Privatleute oder Museen sich des kolonialen Raubes bemächtigen ohne gegen das Hehlerei-Gesetz zu verstoßen und daraus doch europäische Besitztümer machen?
Worauf warten die europäischen Staaten eigentlich? Dass die neuen afrikanischen Staaten die Rückführung dieser „Objekte“ offiziell verlangen, dass sie moderne Museen bauen, um diese „Objekte“ diesmal vor Ort einzusperren. Hier taucht meine ewige Frage wieder auf: Sagen Sie uns mal, aus welchen Museen in Afrika haben denn die Europäer all diese „Objekte“ aus dem Kontinent weggeschleppt? – Es gab keine Museen in Afrika, aber unterschiedliche Aufbewahrungsorte für Energie beladene Funktionsträger. Die ethnologischen Museen in Europa wurden auch erst im Zuge der kolonialen Eroberung im 19. Jahrhundert gebaut, um die Energie afrikanischer Trophäen einzusperren und sich des Kontinents nachhaltig zu bemächtigen. Noch einmal: In Deutschland werden nicht einmal 10% der eingesperrten afrikanischen „Objekte“ ausgestellt, der Rest ist in Lagern weiterhin gefangen, man sagt aufbewahrt. Im Berliner Humboldt Forum werden etwa 100 afrikanische „Objekte“ von insgesamt 75.000 aus diesem Kontinent ausgestellt. Warum und wozu eigentlich? Afrika braucht eine deutliche Antwort.
Ethnologische Museen sind ein europäisches Konzept zur materiellen Sammlung von erzwungenen Beuten und Einsperrung von Lebensenergie der Besiegten aus den kolonialen Feldzügen. Und 2024 erwarten die Nachkommen dieser Europäer, dass Afrikaner heute moderne Energie-Gefängnisse bauen, nach dem Konzept Europas, bevor Restitution an Afrika stattfinden kann?
- Wohin nun mit der konservierten Kolonialbeute?
Also, wenn Restitution der Kolonialbeute, an wen? An Individuen, an Gruppen, an den modernen afrikanischen Staat? Wenn Restitution, wer ist überhaupt legitimiert, zu beantragen, zu empfangen?
Wie war die soziologische Zusammensetzung, die Machtstruktur vor 1884, dann von 1884 bis 1919, wie ist die Zusammensetzung heute, in ehemaligen europäischen Metropolen, in ehemaligen Kolonialgebieten?
Wer bestimmt die Legitimitätskriterien? Der Nachkomme des ehemaligen kolonialen Feldwebels, der mit Militärmacht und eingeführter Religion enteignet, geraubt und nach Europa entwendet hat. Der individuelle afrikanische Nachfahre, die Nachkommen der Volksgruppen oder der moderne afrikanische Staat müssen den Antrag stellen, Beweise bringen, dass sie legitimiert sind, Jahrzehnte warten, dass diese Beweise von den Nachkommen des ehemaligen kolonialen Feldwebels anerkannt werden, sogar vor Justiz gehen, und warten, dass neue Legitimationskriterien aus dem Norden entwickelt werden.
10 bis 30 „Objekte“ werden zuerst mal restituiert. Von über 40.000 in öffentlichen Museen. Zum Beispiel.
Provenienzforschung muss noch in europäischen Metropolen gefördert werden, man wartet auf Ergebnisse: Wer hat die Beute gebracht, wie hat er sie vor Ort entwendet, was waren die Umstände, auf welchen Wegen ist sie überhaupt aus Übersee gekommen, welche Funktion war der Beute vor Ort zugewiesen? Fragen über Fragen, und die europäischen Forscher sollen Antworten bringen, die zum internationalen Prozess beitragen sollen. In den ehemaligen Kolonien selbst werden keine oder kaum Forschungen zu diesem dekolonialen Prozess gefördert. Forschungsergebnisse kommen aus dem Norden.
Was hat das kollektive Gedächtnis in diesen Ländern überhaupt noch behalten können, wie entwickelt sich das neue Bewusstsein über den aufgezwungenen Kolonialismus und den darauffolgenden Dekolonisierungsprozess, welche Bedeutung wird Restitutionsfragen beigemessen, welche neuen Konflikte können da entfesselt werden, welches Gewicht hat Restitution im Zuge des aufbrechen Afrika auf dem Weg seiner Renaissance?
Die afrikanischen Gesellschaften, Universitäten, Forschungsinstitutionen, die afrikanische Politik müssen eigene Fragen und Antworten entwickeln, um mit ehemaligen Kolonialmetropolen in einem Dialog auf Augenhöhe die internationalen Beziehungen neu gestalten zu können.
Bleiben wir im Rahmen der Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland. Wie gehen wir vor, als afrikanische Nichtstaatliche Institution, wie AfricAvenir International, um diese internationalen Beziehungen mit Deutschland neu zu denken?
Noch an der Universität Yaoundé I bildete ich eine Forschungsgruppe, die ganz Kamerun von 1981-1986 bereiste, um 176 überlebende Zeitzeugen der deutschen Kolonialzeit ausführlich auszufragen. Ein internationaler Kongress, auch mit Historikern aus der Bundesrepublik und aus der DDR, wurde 1985 in Yaoundé organisiert, und ein Buch wurde veröffentlicht.[5] In Kooperation zwischen der Fondation AfricAvenir International und der Gerda Henkel Stiftung konnten wir so von 2016-2021 die Stimmen dieser Zeitzeugen in Buchform mit CD herausbringen:
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/das_audioarchiv?nav_id=6523
18 Bände in 20 kamerunischen Sprachen mit französischer Übersetzung, 12 Bände mit englischer Übersetzung und 3 Bände in deutscher Übersetzung. Wir suchen noch nach finanziellen Mitteln, um die restlichen 22 Bände herauszugeben und deutsche Übersetzungen veröffentlichen zu können. Beitrag aus dem Süden. Die Stimmen Afrikas zum deutschen Kolonialismus.
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/afrika_kollektivesgedaechtnis
Mit diesen geretteten Zeitzeugnissen verfügen wir über eine breite einheimische Version der Kolonisierten und wir erfahren viel, was in den deutschen Berichten und Büchern gar nicht steht. Nur kommen bislang diese Ergebnisse nicht in den Norden und sie tragen zur Diskussion in Deutschland auch bei Restitutionsfragen nicht bei.
Dank des hauseigenen Verlages Editions AfricAvenir, der über 450 Autoren aus 4 Kontinenten schon herausgebracht hat und 2023 einen Literaturfrühling mit 9 internationalen Frauen veranstaltete, konnte auch die Reihe „Quand les Anciens parlent/When the Elders speak/Jetzt berichten afrikanische Zeitzeugen“ diese wissenschaftlichen Ergebnisse veröffentlicht werden.
https://africavenir-international.org/wp-content/uploads/2023/07/Magazine-AFA_02-2.pdf
Da die modernen Staaten Kamerun, Togo, Burundi, Tanzania, Namibia vom Deutschen Reich gründlich neu strukturiert wurden, führte die Komplexität dieser Problematik dazu, dass die Fondation AfricAvenir International, in Partnerschaft mit der Gerda Henkel Stiftung im Jahr 2016 eine Master– und Doktorandenschule „Heritage & Innovations“ gründete. Später unterzeichneten weitere Partner wie die Universität Yaoundé I, die Universität Douala, die Stadt Douala, der Hafen von Douala. Die Arbeiten der ersten Promotionskandidaten wurden in Kooperation mit den Universitäten Aix-Marseille, Frankreich, Ziguinchor, Senegal, Bouaké, Elfenbeinküste, und Yaoundé II verteidigt. Die jetzige Promotion von 2024-2017 soll auch einen Bereich Restitution, Konfliktprävention und internationale Beziehungen zu Afrika inkludieren. Diese wissenschaftlichen Arbeiten werden von der Bibliothek Cheikh Anta Diop in Douala begleitet, die viele Bücher und Archivdokumente aus der deutschen Kolonialzeit in Afrika gesammelt hat und weiterhin das wissenschaftliche Erbe Afrikas und die neuen Entwicklungen in und um Afrika dokumentiert. Eine Kooperation mit deutschen Universitäten und Forschungsinstitutionen, die Ergebnisse aus Afrika auch ernst und wahrnehmen wollen, wäre zu begrüßen, und Fördermittel für solche Kooperationen sollten auch freigegeben werden.
Die Fondation AfricAvenir International hat darüber hinaus zwei wichtige Dauer-Ausstellungen zur deutschen Kolonialzeit in Douala aufgestellt, die gut besucht werden.
Im Musée Maritime de Douala: „Das Erbe von Wasservölkern und die Seegeschichte Kameruns um 1884“, seit Dezember 2020.
Im Hauptsitz der Fondation AfricAvenir International in Douala: „Kameruner Widerstandshelden, deutsche Militärexpeditionen und Raub von Macht-, Kult- und Kunstobjekten“, seit Dezember 2023.
Diese vom Bürgermeister der Stadt Douala Dr. Roger Mbassa Dine eröffnete Ausstellung begleitete das vom 21.-22. Dezember 2023 organisierte Seminar mit dem Titel „Wiederaufbau des kollektiven Gedächtnisses afrikanischer Völker / Ehrung der ersten kamerunischen Helden gegen den Kolonialismus / Plädoyer für die Restitution von afrikanischen Macht-, Kult- und Kunstobjekten“. Professoren und Wissenschaftler der Universitäten von Douala, Yaoundé I, Yaoundé II, Ngaoundéré, Dschang und Bertoua brachten da ihre Ergebnisse zusammen.
https://www.youtube.com/watch?v=ii5XbBLOCCE&t=207s
Wir haben hier eigentlich nur die Arbeiten mit dem Fokus auf die Beziehungen mit Deutschland erwähnt. Das neue Afrika mit seinen jetzigen 1,5 Milliarden Menschen steht vor großen Herausforderungen. 2021 stellte die Fondation AfricAvenir International das Projekt des „African Renaissance Home / Maison de la Renaissance Africaine / Haus der Afrikanischen Renaissance“ zum ersten Mal in Douala vor.
https://africavenir-international.org/maison-de-la-renaissance-africaine/
Gedacht ist ein achtstöckiges Gebäude, mit Geschäften, Kultureinrichtungen, Ausstellungshallen, einer Universität, einem Begegnungszentrum von Wissenschaft, Politik und Kunst, sowie Tourismusstätten. Das Projekt wird getragen von der Fondation AfricAvenir International, der Stadt Douala, dem Hafen von Douala und den Universitäten von Douala und Yaoundé I. Weitere Partner zur Gestaltung der neuen, dekolonialen Beziehungen Afrikas mit sich selbst und der Welt sind ganz herzlich willkommen.
https://www.youtube.com/watch?v=EU8jdz5ES7Q&t=126s
Wie wollen wir weltweit in diesem 21. Jahrhundert der modernsten Vernichtungswaffen miteinander auskommen? Werfen wir einen scharfen Blick auf das verheerende 19. Jahrhundert des Kolonialismus zurück, auf die beiden katastrophalen Weltkriege im 20. Jahrhundert. Restitution im Dekolonisierungsprozess mahnt uns dazu, eine neue dauerhafte Grundlage des friedlichen und respektvollen Miteinanders auch für die Nachwelt dieses Jahrhunderts zu gestalten.
[1] Kum’a Ndumbe III, Restituez à l’Afrique ses objets de pouvoir, de culte et d’art ! Reconstituons notre mémoire collective africaine ! 2è édition, Editions AfricAvenir, Douala/Vienne, février 2024
[2] https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/bergbau-und-rohstoffe#:~:text=Afrikas%20Rohstoffe%20sind%20mannigfaltig.,sowie%207%20Prozent%20des%20Erdgases.
[3] Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland. Koordiniert von Andrea Meyer und Bénédicte Savoy. Dietrich Reimer Verlag, Berlin.
https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/catalog/book/1219
[4] Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, Besonderer Teil, Einundzwanzigster Abschnitt. Begünstigung und Hehlerei, Paragraf 259. Hehlerei
[5] Kum’a Ndumbe III, Directeur de publication, L’Afrique et l’Allemagne de la colonisation à la coopération, 1884-1986 : le cas du Cameroun / Africa and Germany from Colonisation to Cooperation, 1884-1986 : the case of Cameroon, Editions AfricAvenir, Douala/Yaoundé, 1986